Die selbstständige Tätigkeit im eröffneten Verfahren

Grundsätzlich bewegen sich nach InsO- Eröffnung alle Beteiligten stetig am Rande der Rechtslage, wenn der Schuldner die selbstständige Tätigkeit fortführen will. Die Praktikabilität hat Vorgehensweisen der Verwalter in Absprache mit den Rechtspflegern der Insolvenzgerichte entstehen lassen, die einer strengen Rechtskontrolle möglicherweise nicht Stand halten würden, aber in der Regel funktional sind!

Zu Beginn des eröffneten Verfahrens steht die Frage im Vordergrund was mit dem Betrieb geschehen soll. Folgende 5 Varianten sind wahrscheinlich:

  • Sofortiger oder späterer Verkauf des Geschäftsbetriebes

  • Verwertung des Betriebsvermögens und Kündigung aller Verträge mit der Folge, dass eine Weiterführung des Betriebes i.d.R. nicht mehr möglich ist

  • Fortführung des Betriebes mit Eigenverwaltung des Schuldners und mit allen Risiken für den Verwalter und die Insolvenzmasse

  • Firmenfortführung mit Zustimmungsvorbehalt, die erheblichen Aufwand für den Verwalter bedeutet und in welcher der Schuldner sehr unfrei ist

  • Freigabe der selbstständigen Tätigkeit nach § 35 Abs. 2 InsO

Bis zur Änderung des § 35 InsO hatte der Verwalter den Schuldner mit einem Kleinbetrieb i.d.R. allein wirtschaften lassen, wenn dieser den Betrieb fortführen wollte (Eigenverwaltung) und weder ein erhebliches werthaltiges Betriebsvermögen vorhanden noch ein Verkauf des Betriebes insg. realistisch war. Er hat sich Gewinn- und Verlustrechnungen vorlegen lassen (aber bestimmte einzelne Kosten wie z.B. Steuerberaterkosten nicht akzeptiert) und verlangte ein Fortführungskonzept. Diese Vorgehensweise war sehr funktional, da sie die Gläubiger am Gewinn aus der selbstständigen Tätigkeit beteiligte und Gewinnschwankungen in beide Richtungen Berücksichtigung fanden. Gleichzeitig wurde dem Schuldner angeboten, das Betriebsvermögen aus der Insolvenzmasse freizukaufen, ggf. durch Ratenzahlung.

Funktionierte die Kooperation mit dem Schuldner nicht, zog der Verwalter alle Umsätze ein, schrieb alle Kunden an und wies dem Schuldner Geld zu für den Wareneinkauf und für den Lebensunterhalt. Analog § 850i ZPO war dem Schuldner zumindest soviel zu belassen, dass er ein angemessenes Leben führen konnte.

Für den Schuldner der selbstständig bleiben wollte, barg dieses Vorgehen gravierende Probleme:

  • Absprachen mit dem Insolvenzverwalter waren schwierig

  • Keine Planungssicherheit

  • Für den Unternehmer war ungewiss, wann er über die vom Verwalter eingezogenen Einnahmen verfügen kann. Der Wareneinkauf war schwierig zu steuern und die Höhe, des dem Schuldner zu belassenen pfändungsfreien Betrages war häufig strittig.

Auch die Verwalter waren über diese Regelung unzufrieden aufgrund des hohen Aufwandes, ohne dass sich pfändbare Beträge erwirtschaften ließen und aufgrund des hohen Haftungsrisikos.

Zur Abhilfe sieht § 35 Abs. 2 InsO, die in der Praxis vielfach genutzte Möglichkeit einer Freigabe der Erlöse aus der gewerblichen Tätigkeit vor. Der Verwalter hat hierzu eine schriftliche Freigabeerklärung gegenüber dem Schuldner abzugeben. Erfolgt keine Freigabe, haftet die Insolvenzmasse weiterhin für die im Rahmen der selbstständigen Tätigkeit begründeten Verbindlichkeiten, diese werden somit Masseverbindlichkeiten. Gibt der Insolvenzverwalter die Tätigkeit frei, entgeht der Masse der zukünftige Gewinn (= Neuerwerb); sie haftet aber auch nicht für Neuverbindlichkeiten jeglicher Art.

Die Entscheidung über die Freigabe kann der Insolvenzverwalter ohne Zustimmung der Gläubigerversammlung treffen. Im Interesse einer zügigen Vorgehensweise und der Abwendung von Masseverbindlichkeiten ist diese Regelung sinnvoll. Auf Antrag des Gläubigerausschusses oder der Gläubigerversammlung kann das Insolvenzgericht die Freigabe nachträglich für unwirksam erklären. (Geschieht aber extrem selten!)

Sind keine erheblichen pfändbaren Einkünfte zu erwarten, wird der Insolvenzverwalter heute i.d.R. den Weg der Freigabe wählen. Ergänzend wird er das Betriebsvermögen bewerten und den Schuldner zur Zahlung eines Ausgleichsbetrages für die Weiternutzung seines Betriebsvermögens in die Masse auffordern und dann den Betrieb freigeben. Häufig erhält diese Freigabe auch eine Regelung hinsichtlich des Umgangs mit den zukünftigen Einkünften aus dem Gewerbebetrieb.

Solange der Betrieb noch nicht freigegeben ist, stehen sich zwei widersprüchliche Gesetzesnormen gegenüber, § 811 ZPO i.V.m. 850i ZPO einerseits und §§ 35,36 und 160 ff InsO andererseits! Der Gesetzgeber hat in der ZPO die Gegenstände, die zur Fortführung der selbstständigen Tätigkeit notwendig sind, geschützt (§ 811 ZPO) und hinsichtlich der Einkünfte die Freigabe des zum Leben notwendigen (§ 850 i ZPO) vorgesehen. Gleichzeitig erlaubt die InsO dem Verwalter die Beschlagnahmung aller Vermögenswerte; somit auch die Beschlagnahmung, des für die Fortsetzung der selbstständigen Tätigkeit notwendigen Betriebsvermögens (§36 Abs. 2 InsO)

Ob das Betriebsvermögen des Schuldners wirklich zur Insolvenzmasse gehört, wenn der Verwalter den Betrieb später freigibt, sodass der Schuldner es herauskaufen muss, ist zurzeit noch nicht abschließend entschieden.

Ab Freigabe des Geschäftsbetriebes trifft den Schuldner die Pflicht entsprechend §295 Abs. 2 InsO zu handeln:

„.... Soweit der Schuldner eine selbständige Tätigkeit ausübt, obliegt es ihm, die Insolvenzgläubiger durch Zahlungen an den Treuhänder so zu stellen, wie wenn er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre.“

Den Selbstständigen trifft somit die Pflicht zumindest so viel an den Verwalter abzugeben als wäre er angemessen beschäftigt. Könnte er als Angestellter 1.600,-€ verdienen, wären 400,-€ pfändbar. Erwirtschaftet er als Selbstständiger einen Gewinn von z.B. 1.000,-€ müsste er trotzdem 400,-€ davon an den Insolvenzverwalter herausgeben, wenn er eine spätere Versagung der Restschuldbefreiung ausschließen will. Der pfändbare Betrag ist also analog der hypothetischen Einkünfte zu berechnen, gleichgültig wie hoch die tatsächlichen Gewinne des Selbstständigen ausfallen.

Umgekehrt bestehen auch große Chancen in dieser Regelung, da ein späterer hoher Jahresgewinn zwar dem Verwalter bekanntgegeben werden sollte, er aber keinen Einfluss auf die Höhe des abzuführenden monatlichen Betrages nehmen kann.

Problem: Wer entscheidet darüber was angemessen ist?

Im gerichtl. Verfahren - Absprache mit Verwalter versuchen, aber schützt Schuldner nicht 100%-ig vor späterer Klage eines Gläubigers

In Treuhandphase - Keine Absprache mit Treuhänder mehr möglich, da nicht mehr sein Job

Es könnte hilfreich sein gemeinsam mit dem Verwalter einen Brief an alle Gläubiger, die eine Forderung angemeldet haben, aufzusetzen und darin den Zahlungsvorschlag konkret zu benennen. Gleichzeitig können die Gläubiger aufgefordert werden Stellung zu dem Vorschlag zu beziehen. Nachteil dieser Vorgehensweise könnte im „Wachrütteln“ der Gläubiger liegen!